„DIE DIGITALISIERUNG ERÖFFNET NEUE WEGE IN DER MEDIZIN“
René Bostelaar Klinikreferent
Das Gesundheitssystem in Deutschland ist im Umbruch. Klinikreferent René Bostelaar begleitet die Veränderungen als Manager bereits seit Jahrzehnten und spricht im Interview über die Chancen und Risiken der medizinischen und pflegerischen Versorgung in der Zukunft. Das Gesundheitssystem ist krank. Wie ordnen Sie diese Aussage ein? Mit den heutigen Strukturen im ambulanten und stationären Bereich werden wir die Herausforderungen in den nächsten Jahren nicht bewältigen. Das bedeutet, wir brauchen hier eine andere Vorgehensweise und Finanzierung. Was bedeutet das konkret? Die ambulante Versorgung wird eine immer größere Bedeutung haben. Das Problem ist der hausärztliche und fachärztliche Nachwuchs. Durch den wirtschaftlichen Druck sind viele Ärztinnen und Ärzte nicht mehr bereit, das Risiko einer eigenen Praxis einzugehen. Eine Lösung wäre die Gründung von Gesundheitszentren, in denen Ärzte gemeinsam Medizin betreiben und somit die Infrastrukturkosten senken können. Auch für Patientinnen und Patienten ist das Modell attraktiv, da man alle Fachrichtungen unter einem Dach vereint hat und die Behandlung dadurch auch effizienter wird. Was muss im stationären Bereich passieren? Die stationäre Krankenhausversorgung wird abnehmen. Das haben wir als Krankenhaus seit der Corona-Pandemie feststellen müssen. Die Kliniken in Deutschland haben fast 20 Prozent weniger Patienten. Deshalb hat die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag als Ziel festgehalten, Betten abzubauen und die Krankenhäuser im Sinne einer sektorenübergreifenden Versorgung mit dem ambulanten Bereich zusammenzuführen. Das Gleiche gilt also fürs Klinikum? Ja, wenn man weitsichtig denken will – und das haben wir getan. Das zeigt auch unser Masterplan. So werden wir in den nächsten Jahren die Bettenkapazität von ehemals 380 Betten (verteilt auf drei Krankenhäuser) auf 280 Betten in einem neuen Zentralklinikum anpassen. Ein wichtiger Aspekt ist auch die immer digitaler werdende Gesellschaft. Das eröffnet in der medizinischen Versorgung ebenfalls neue Wege. So wollen wir mit dem Aufbau eines Regionalen Gesundheits- und Pflegekompetenzzentrums, mit dem Einsatz von Telemedizin und mit sektorenübergreifenden Versorgungsmodellen zukunftsorientiert auf die Rahmenbedingungen reagieren. Die Digitalisierung in Krankenhäusern ist auch im Krankenhauszukunftsgesetz verankert. Was plant das Klinikum Main-Spessart hier konkret? Wir können uns vorstellen, dass in unterversorgten Gebieten des Landkreises Main-Spessart speziell ausgebildete Pflegefachkräfte die noch vorhandenen Arztpraxen bei der medizinischen Versorgung der Bevölkerung unterstützen, ergänzt durch digitale Hilfsmittel und Telemedizin.
Außerdem wollen wir eine Gesundheits-App für Main-Spessart entwickeln, wo Bürgerinnen und Bürger Hilfestellungen rund um medizinische Fragen bekommen. Denkbar sind auch Gesundheitskioske in den kleinen Ortschaften, wo im Rahmen von Telekommunikation ein direkter Kontakt mit dem Krankenhaus oder den Gesundheitszentren ermöglicht wird. Diese Vorstellungen werden derzeit intensiv auf Landkreisebene mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen diskutiert.
Thema Telemedizin: Was ist das und gibt es bereits telemedizinische Strukturen am Klinikum? Telemedizin ermöglicht es, trotz räumlicher Trennung Diagnostiken, ärztliche Konsultationen und medizinische Notfalldienste anzubieten, alles unter dem Einsatz von audiovisuellen Kommunikationsstrukturen. Vor allem für den ländlichen Raum wird die Telemedizin ein wichtiger Bestandteil der medizinischen Versorgung werden. Das ist teilweise bereits Realität, wie etwa unsere telemedizinische Visite auf der Intensivstation, die digitale Visite auf unseren Stationen oder die Übertragung von medizinischen Daten aus den Rettungswägen in das Krankenhaus. Digital ist das Klinikum also schon gut aufgestellt. Wie sieht es personell aus? Trotz ländlicher Region sehe ich uns in der Lage, in den nächsten Jahren ausreichend medizinisches und pflegerisches Personal für den Landkreis Main-Spessart zu gewinnen. Erstens haben wir ein großes und leistungsfähiges Bildungszentrum für Pflegeberufe. Zweitens sind wir akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Würzburg. Drittens arbeiten wir im Weiterbildungsverbund für Allgemeinmedizin eng mit den niedergelassenen Allgemeinmedizinern zusammen und sind somit hoch attraktiv für Berufsanfänger.
Darüber hinaus werden wir durch den Neubau in Lohr ein hochmodernes und leistungsfähiges Krankenhaus haben. Allein dies wird wie ein Magnet auf dem Arbeitsmarkt in der Region Unterfranken wirken. Dazu kommt, dass wir als öffentlicher Träger sehr attraktive Arbeitsbedingungen und sichere Löhne anbieten können. Und nicht zuletzt wird unser Landkreis in Zukunft junge Familien anziehen, die in den urbanen Bereichen keinen Wohnraum mehr finden, in der Region aber ein lebenswertes Zuhause und Arbeit bekommen.